Das OLG Hamm klärt im Juni 2015 die Frage, ob man sich im Alter noch privat versichern kann. Das Urteil ist bahnbrechend für die zukünftige Qualität der Verkaufsgespräche.

Die private Krankenversicherung war schon immer eine besondere und komplizierte Versicherungsart. Die Kombinationen aus frei wählbaren Selbstbeteiligungen und Leistungen haben zu einem Produkt geführt, welches für keinen Laien, teilweise nicht mal für Vertreter selber, vergleichbar und transparent ist. Insgesamt gibt es über 44.000 Tarife und Kombinationsmöglichkeiten für eine einzige Versicherungsart: die private Krankenversicherung.

Zusätzlich bieten die Versicherer für Verkäufer ein stark abschlussorientiertes Anreizsystem an, welches dazu führt, dass Kunden wann immer es geht, zum Wechsel in die private Versicherung oder Anbieterwechsel überredet werden sollen. Das Gesamtsystem aus hohen Provisionen, vertrieblichen Anreizen und fachlichem Mängel hat bis heute zu knapp 9 Mio. privat Krankenversicherten in Deutschland geführt. Eines der Grundprobleme ist, dass es sich für Vermittler mehr lohnt, den Kunden neu zu versichern als ihn ehrlich und fair zu beraten. Viele Kunden wären heute nicht privat versichert, wenn Sie gewusst hätten, wie private Krankenversicherungen funktionieren.

Der Staat hat sich als völlig unfähig in der Regulierung des Versicherungsmarktes erwiesen. Neu erschaffene Registrierungspflichten (2007 - §34d) gelten nur für die kleinen der Branche, nicht aber für die großen Versicherer und Vertriebe. Provisionsdeckelungen (2012) gelten scheinbar auch nur für die kleinen der Branche, nicht aber für die großen Vertriebe und Poolgesellschaften. Und wir wissen nicht erst aus der Bankenkrise, dass die großen Player auch große Probleme erzeugen.

Versicherungsgesellschaften sind ebenfalls an einheitlichen Regelungen nicht interessiert. Langjährig versicherte Kunden können völlig Sinn frei den Versicherer wechseln oder sich im hohen Alter grundsätzlich noch für das private System entscheiden. Eine echte Nutzenprüfung findet nicht statt. Man beruft sich auf die freie Marktwirtschaft. Am Ende steht immer der Kunde als Spielball zwischen den Interessen der Gesellschaften und den Vermittlern. Versicherer befeuern den Wechselmarkt zwischen den Gesellschaften als wäre das PKV Modell eine endlose Party. Vermittler nutzen häufig PKV Provisionen um sich Urlaube zu finanzieren und den schnellen Cashflow zu erhöhen.

Doch es gibt Licht am Ende des Tunnels. Am 24.06.2015 wurde vom OLG Hamm ein Urteil gesprochen, welches frei von Lobbyinteressen der Versicherer und 100% pro Kunde ist. Erstritten wurde das Urteil von den Fachanwälten der Kanzlei Wirth aus Berlin – Geschäftszeichen I-20 U116/13.

 

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Was war geschehen?

Ein 56 jähriger Kunde hat sich an seine Sparkasse gewandt, um eine Altersvorsorgeberatung zu erhalten. Bei dieser Gelegenheit wurde der Kunde informiert, dass er auch in die private Krankenversicherung wechseln kann. Besonderheit: Der Kunde hatte nur eine geringe staatliche Rente zu erwarten und war bereits 56 Jahre alt. Jeder fachlich versierte Vermittler sollte in diesem Fall dringend von einem Wechsel ins das PKV System abraten. Das PKV System ist finanziell stark nachteilig für Kunden, welche sich erst spät dazu entscheiden und Ihre steigenden PKV-Beiträge nicht ausreichend in der Altersvorsorge berücksichtigt haben. So aber nicht geschehen. Der Kunde hat dem Wechsel in das PKV System zugestimmt und hatte wie zu erwarten, deutliche Beitragserhöhungen in den Folgejahren erlebt.

Bei dem Beratungsgespräch wurde der Kunde über wesentliche Nachteile des Wechsels nicht informiert:

  • 1. PKV Beiträge sind nicht einkommensabhängig. Deshalb ist die PKV für Kunden ohne entsprechende Altersvorsorge finanziell immer schlechter als die GKV. Grundsätzlich sollte kein Kunde ohne komfortable Altersvorsorge den Wechsel in das PKV System vollziehen. Wir empfehlen ca. 500 - 700 Euro monatlich zusätzliche Altersvorsorge für PKV Kunden, um spätere Beitragssteigerungen finanziell verkraften zu können
  • 2. Wegen fehlenden Alterungsrückstellungen bestand die Gefahr akuter Beitragssteigerung. Hinweis: Hier sind die gesonderten Rückstellungen gemeint. Diese Rückstellungen werden seit dem Jahr 2000 erhoben und nur bis zum 60. Lebensjahr angespart. Die gesonderten Rückstellungen federn Beitragserhöhungen ab dem 65. Lebensjahr ab. Auch ohne diese Rückstellungen sind deutliche Beitragserhöhungen zu erwarten gewesen. Unberücksichtigt bleiben dagegen weitere Probleme beim Systemwechsel im hohen Alter:
  • 3. Die Gefahr der vorvertraglichen Anzeigepflicht nach §19 VVG bleibt unberücksichtigt.
  • 4. Die Rückkehr in die gesetzliche Kasse ist weitgehend ausgeschlossen.
  • 5. Notfalltarife wie Standardtarif zeigen keine Wirkung.

Der Kläger stellte diese Mängel ebenfalls fest und verklagte die Sparkasse auf Schadensersatz. Aufgrund des Urteils haben die Sparkasse und das PKV Unternehmen den Kunden so zu stellen, als ob er in der gesetzlichen Kasse versichert geblieben wäre. Der Beitrag muss jetzt ab Rentenalter einkommensabhängig berechnet werden und verringert sich dadurch ganz erheblich.

Das Urteil bestätigt die aktuelle Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach es nach mangelhafter, gesetzlich vorgeschriebener Beratung zu einer Umkehr der Beweislast kommt. Bei nicht ordnungsgemäßer Beratungsdokumentation muss der Berater beweisen, dass er alle relevanten Punkte angesprochen hat. Im Fall der Sparkasse existierte keine Beratungsdokumentation (Zitat Urteil: „nicht im Ansatz“).

Fazit: Als Kunde müssen Sie die Beratungsdokumentation aufmerksam lesen. Denn ab heute ist es enorm wichtig für die Verkäufer alle Nachteile, zu dokumentieren. Eine Sparkasse wird einen solchen Fehler nicht bei einem weiteren Kunden riskieren wollen. Für den Versicherer gilt das Gleiche. Weder der Staat noch die Versicherer selbst haben in den letzten 10 Jahren eine so kundenfreundliche Maßnahme geschaffen.

  • 1. Man wechselt keinen PKV Versicherer.
  • 2. Man wechselt nur unter einer eingehender finanzieller Prüfung nach der Vollendung des 45. Lebensjahres in das PKV-System. Scheinbar gilt auch für die Großen am Markt: Unter Schmerzen lernt es sich schneller.

 

Download - Pressemitteilung zum Urteil des OLG Hamm